Spotify startet Podcast über Loveparade-Katastrophe – ein Interview mit den Podcast-Machern Viola Funk und Julian Brimmers

Morgen jährt sich die Loveparade-Katastrophe in Duisburg, bei der 21 Menschen zu Tode kamen und Hunderte verletzt wurden, bereits zum zehnten Mal. Der Mammutprozess, der es aufarbeiten sollte, ist erst diesen Mai ohne Urteil zu Ende gegangen. Spotify und das Berliner Podcaststudio ACB Stories haben dieses traurige Jubiläum zum Anlass genommen in der siebenteiligen Audio-Doku „Trauma Loveparade – 10 Jahre nach der Katastrophe“ das Thema noch einmal aufzurollen und wieder zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu holen. Es ist der erste Dokumentations-Podcast, den Spotify in Deutschland an den Start bringt.

Produzentin und Regisseurin Viola Funk und Musikjournalist Julian Brimmers, der auch als Host des Podcasts fungiert, haben dafür zusammen mit ihrem Team Akten gewälzt und mit Betroffenen, Zeitzeugen und Experten gesprochen. Unter anderem berichten Gabi Müller (Mutter von Christian, der bei der Loveparade 2010 ums Leben kam und Nebenklägerin im Prozess), Dr. Motte, Gründer der Loveparade, und Jürgen Gerlach, der offizielle Gutachter im Loveparade-Prozess, im Podcast über die Ereignisse.

Die Podcast-Macher wollen aber auch die musikkulturelle Bedeutung der Loveparade in den Blick nehmen. Die 1989 begründete Loveparade entwickelte sich aus einem kleinen Straßenumzug zu dem musikalischen Massenevent der 90er, das in seiner Hochphase um die Jahrtausendwende rund eine Million Raver nach Berlin zog. Für viele, die in den 1990ern und Nullerjahren aufgewachsen sind, ist die Musikdemo durch den Berliner Tiergarten mit Party, Ausgelassenheit und Freude verbunden. Doch dieses einstmals eher subkulturelle Fest, das für positive Werte eintrat, wurde im Laufe der Zeit nicht nur immer größer, sondern auch immer stärker kommerzialisiert. 2007 wanderte die Loveparade dann schließlich von ihrem Ursprungsort ins Ruhrgebiet ab.

Viola Funk und Julian Brimmers verraten im Gespräch mit radioWOCHE.de, welche Herausforderungen es mit sich bringt, ein solch komplexes zeitgeschichtliches Thema, das darüber hinaus mit vielen persönlichen Schicksalen verbunden ist, als Podcast umzusetzen. Aber auch welche Freiheiten einem das Medium Podcast zum Experimentieren eröffnen kann.

Wie entstand die Idee sich der Loveparade-Katastrophe und deren Aufarbeitung im Rahmen eines Podcasts zu widmen?

Viola Funk: „Wir haben uns Anfang des Jahres bei ACB Stories zusammengesetzt und damit beschäftigt, dass der Loveparade-Prozess wahrscheinlich eingestellt werden wird und auch nach zehn Jahren eigentlich keiner genau weiß, was damals passiert ist. Und da absehbar war, dass es keinen wirklichen Abschluss geben wird, haben wir uns die Frage gestellt: ,Wie kann das eigentlich sein?‘ Bei der Umsetzung war es uns sehr wichtig, dass der Host, der den Podcast nach außen trägt, einen persönlichen Zugang zu dem Thema hat.“

Julian Brimmers: „Ich bin in der Region nah am Pott, nah an Duisburg, groß geworden und fast jeder mit dem man dort – oder auch in Köln, wo ich aktuell lebe – spricht, hat einen Bezug zur Loveparade-Katastrophe, geht, wenn man danach fragt, sofort ins Anekdotische über – war selber da oder kennt jemanden, der an diesem Tag da war. Für den Podcast nehmen wir uns das komplexe Geflecht an Fehlerketten vor und fragen uns aus verschiedenen Perspektiven, was wirklich vorgefallen ist. Unser Anspruch war es auch, dass die Leute, die Angehörige verloren haben oder die vor Ort waren, zu Wort kommen und ihre Geschichte erzählen können.“

Was sind die Besonderheiten, wenn man eine Dokumentation als Podcast umsetzt?

Julian Brimmers: „Viola und ich kommen beide vom geschriebenen Wort, haben aber auch schon Filme gemacht. Der Podcast bietet andere Möglichkeiten, ist ein Medium, in dem du viel Platz und Raum hast. Du kannst episodisch arbeiten und für jede Episode die Schwerpunkte anders legen. Das wiederum beeinflusst, wie man mit Sounddesign arbeitet. Eine Episode über die Geschichte der Loveparade hat ein anderes Sounddesign, andere Musik (Acid, Techno), als Folgen, die den Prozess abbilden oder den Schrecken des Tages selber zeigen sollen.“

Viola Funk: „Wir haben viel mit verschiedenen Formen experimentiert. Es gibt Folgen, wo wir uns das Gutachten anschauen, wo Julian viel erklärt. In anderen Folgen kommen hauptsächlich die Betroffenen zu Wort. Wenn man sich TV-Dokus über den Tag der Loveparade-Katastrophe anschaut, hat man immer diese schrecklichen Bilder im Kopf, die einem die Enge und das bedrückende Gefühl vermitteln und wo man sofort einfach in diesem Moment ist. Das wollten wir für das Audio-Produkt nachempfinden. Für die Episode ,17 Uhr‘, die sich mit dem Unglückstag auseinandersetzt, sind wir deshalb aus unserem dokumentarisch, einordnenden Erzählstil herausgegangen, haben unsere Perspektive geändert. Dort lassen wir die Leute reden und Julian als Host tritt in den Hintergrund.“

Welche Herausforderungen bringt es mit sich, dass es sich um ein sehr sensibles Thema handelt, ein Ereignis bei dem Menschen ihr Leben verloren haben?

Viola Funk: „Bei diesem Thema muss man natürlich zum Beispiel in Sachen Sounds besonders feinfühlig vorgehen, deshalb haben wir uns bewusst dagegen entschieden, Schreie und Atemgeräusche einzusetzen, setzen auf nachgestellte Funksprüche oder Herzschläge. Ich denke, dass wir eine Version gefunden haben, die das Gefühl des Tages vermittelt, diesen Kloß im Hals. Aber ohne, dass es effekthascherisch oder voyeuristisch ist.“

Aktuell kommen in Deutschland gerade viele Audio-Dokumentationen auf den Markt, die sich mit zeitgeschichtlichen Themen befassen. Wie beurteilen sie diese Entwicklung? Warum können Podcasts ein geeignetes Medium für solche dokumentarischen Inhalte sein?

Viola Funk: „In den USA sind Podcasts bereits das Format für investigativen Journalismus. Von daher finde ich es super, wenn wir uns da in Deutschland dieser Entwicklung annähern. Die Menschen haben nicht nur Bedarf an Laber-Podcasts, sondern wollen auch Geschichten hören. Wir haben uns für unsere Audio-Dokumentation mit Blick auf Storytelling und Ansprache von den US-amerikanischen Podcasts inspirieren lassen. Und gehen ein bisschen experimenteller vor als die meisten Audio-Dokumentationen, die es gerade auf dem deutschen Markt gibt. Wir wollten dieses komplexe Thema auch emotional aufladen und durch die Perspektive des Hosts erforschen.“

Julian Brimmers: „Ich glaube, warum die investigativen Podcast-Formate boomen und so gut funktionieren, hängt mit der Intimität zusammen, die ein Podcast bietet, dem Raum, den man den Betroffenen geben kann. Aber auch, wie es beim Rezipienten ankommt. Podcasts hörst du fast immer alleine, meistens mit Kopfhörer und nimmst sie dadurch ganz anders emotional wahr.“

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Spotify?

Viola Funk: „ACB Stories hat schon vorher mit dem Podcast-Team von Spotify zusammengearbeitet. Spotify ist für mich ein Vorreiter, wenn es darum geht, sich am US-amerikanischen Podcast-Markt zu orientieren, der einfach schon viel weiter ist. Mit Spotify konnten wir die angesprochene experimentellere Erzählweise umsetzen. Und uns war es auch wichtig, die musikkulturelle Dimension, die selten in öffentlich-rechtlichen Dokumentationen über das Thema angesprochen wird, aufzuarbeiten. Wie konnte die Loveparade, die als subkulturelle Bewegung angefangen hat, diesen Weg der Kommerzialisierung einschlagen?“

Wie fällt – auch mit Blick auf den zu Ende gegangenen Loveparade-Prozess – im Lichte ihrer Recherchen ihr generelles Fazit zur Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010 aus?

Julian Brimmers: „Es ist durchaus nachvollziehbar, wie es zu dem Nicht-Urteil, dem Nicht-Ergebnis gekommen ist. Gleichzeitig hinterlässt es eine große Schwere und Leere, ein Zermürbungsgefühl, bei den Betroffenen, die kein Closure bekommen haben. Es bleibt eine große Sprachlosigkeit zurück.“

Viola Funk: „Unser Anliegen ist es, dass die Loveparade-Katastrophe nicht vergessen wird. Wir wollen mit dem Podcast auch dem anfänglichen Narrativ einer Massenpanik oder eines Partyunfalls entgegentreten und betonen, dass die Besucherinnen und Besucher vor Ort nichts falsch gemacht haben. Der 24. Juli 2010 war ein harter Schicksalsschlag für viele Menschen, deshalb ist es wichtig auf die Fehler, die gemacht wurden, hinzuweisen, damit so etwas nicht wieder passieren kann. Der Podcast soll dafür eine Diskussionsgrundlage bieten.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Die sieben jeweils rund 30 Minuten langen Episoden von „Trauma Loveparade“ stehen seit dem 17. Juli auf Spotify (Free- wie auch Premium-Bereich) zur Verfügung.

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Viola Funk arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Redakteurin und Journalistin. Sie war Head of Music bei VICE Germany und schrieb u.a. für. i-D oder Vogue. Für die WDR-Doku „Gibt es Antisemitismus im deutschen Rap?” erhielt sie 2018 den International Music Journalism Award sowie eine Nominierung für den Preis für Popkultur. Momentan lebt sie in Berlin und arbeitet für ACB Stories als Director und Executive Producer an Podcasts und Video-Formaten.

Julian Brimmers ist Autor, Übersetzer und Filmemacher aus Köln. Seine Arbeiten wurden in deutschen und englischen Publikationen wie The Paris Review, Spiegel, Zeit, Juice Magazin, The Creative Independent, BBC und Passion of the Weiss veröffentlicht. Von 2011 bis 2018 war er Redakteur bei der Red Bull Music Academy. Sein Dokumentarfilm “We almost lost Bochum” über die legendäre deutsche Rap-Crew RAG erscheint im September 2020.

(Quelle: Spotify)

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