Yvonne Malak: Die 80er und 90er sind vorbei!

Wir schreiben das Jahr 2025. Gut 40 Jahre nach Start der ersten Privatradio-Stationen in Deutschland. Wir hatten also 40 Jahre Zeit, zu lernen und uns zu entwickeln.

Und dennoch gibt es immer noch Überbleibsel aus dem letzten Jahrtausend, die noch nicht in der Mottenkiste verschwunden sind, aber unbedingt dahin gehören… hier meine „Top 3 der 80er-90er-Überbleibsel“ für die Ablage „P“…

Platz 3:
Übertriebene Nutzung von Soundeffekten.

Platz 2:
Sinnloser Einsatz von Musikbetten

Und mein absoluter Platz 1:
„Drück-Moderationen“ (danke @funkhausnürnberg für diesen schönen Begriff!).

Zu Platz 3:
Eine gute Moderation braucht keinen Sound-Effekt, um plastisch zu sein. Eine gute Moderation erzeugt automatisch das gewünschte Bild. Als wir in den 90ern SFXe als Untermalung und Verstärkung für Moderationen entdeckt haben, war das neu und klang anders als die meisten langweiligen Moderationen bei den „Öffis“.

Ein Beispiel: in einer Zeit, in der Sender reihenweise Autos verschenken und Tausender verjubeln, klingt es einfach nur peinlich übertrieben, bei der Verlosung von zwei Kinotickets künstlichen Applaus oder Jubeln aus der Konserve einzuspielen. Und wenn jemand tatsächlich eine große Geldsumme gewinnt, freut er sich sowieso und braucht keine künstliche Verstärkung.

Von einer Autofahrt zu erzählen und Auto-Geräusche drunter zu legen, ist nur albern und bringt die Moderation nicht weiter. Wenn ein Hörer am Telefon ist, braucht es vorher kein Telefonklingeln, das ist überflüssige „Spielerei“.

WENN schon ein SFX eingesetzt wird (Ausnahmen bestätigen die Regel des überflüssigen 80er-90er-Überbleibsels), dann muss dieser SFX dem Break nützen und sollte außerdem dezent begleitend gefahren werden, also UNTER der jeweiligen Moderation liegen. Bitte nicht: „als ich gestern unter Dusche stand“ … SFX Dusche … weiter im Text … wenn ein SFX schon sein muss (und das muss es in den seltensten Fällen), dann also UNTER dem Text als Untermalung.

Zu Platz 2:
Musikbetten sind kein Selbstzweck. Deren sinnloser Einsatz nervt und schadet den meisten Breaks. Und zwar immer, wenn sie

  • …eine Moderation dominieren.
  • …sich in den Vordergrund drängen.
  • …eine zu starke eigene Dynamik haben..
  • …Moderatoren „hetzen“ und dazu bringen, lauter und schneller als sonst zu sprechen.
  • …die Stimmung einer Moderation kippen lassen – z.B. von berührend zu anbiedernd.

Und (Erfahrungswert): Musikbetten verleiten gerne dazu, den Break über das Notwendige hinaus auszudehnen. Oder kurz: Musikbetten verleiten zum Labern. Und zu lange Moderationen werden auch mit Musikbett nicht kürzer.

Fast alle großen amerikanischen Show-Hosts verzichten vor allem bei Talks auf den Einsatz von Musikbetten unter den Moderationen.

Ich finde, ohne Musikbett kommen Talks besser zur Geltung. Stilmittel wie Pausen, Variation in der Ansprechhaltung, laut/ leise wirken viel besser. Kurz gesagt: Moderationen werden ohne Musikbett relevanter. Außerdem: wenn wir uns zuhause am Frühstückstisch mit der Familie unterhalten, liegt ja auch kein Musikbett unter dem Gespräch – ein Musikbett unter einer Unterhaltung ist auch total unnatürlich.

Wann ist also der Einsatz eines Musikbetts sinnvoll:

  • …wenn das Musikbett für Wiedererkennbarkeit bei Rubriken bzw. Benchmarks sorgt oder als akustisches Logo fungiert, z.B. bei Servicerubriken.
  • …wenn es einen besseren Flow erzeugt und homogen wirkt (siehe bzw. höre BBC 1).
  • …oder wenn es (KURZ eingespielt) eine bestimmte Assoziation hervorruft.

Natürlich gibt es Moderationen, die durch ein Musikbett besser oder dynamischer werden bzw. Wiedererkennbarkeit bekommen, z.B. ein verpackter Promotion-Aufruf, eine immer wiederkehrende kurze Rubrik und natürlich die Moderation im Showopener, der in die Musik führt.

Zusammengefasst: der sinnlose Dauereinsatz von Musikbetten gehört in die Mottenkiste. Der gezielte Einsatz sollte gut überlegt und wohl dosiert sein.

Und unbedingt in die Mottenkiste gehören auf Platz 1… (SFX Trommelwirbel ;-))

Drück-Moderationen“.
Diese sind sowieso eine vor allem im deutschsprachigen Raum angewandte Technik. In D-A-CH sind viele kommerzielle Radiostationen aus Zeitungsverlagen heraus entstanden und waren anfangs wider besseres Wissen nichts anderes als der Zeitungs-Lokalteil zum Hören. Dass die Zeitungsverleger massiv zu kämpfen haben und viele deutsche Tageszeitungen unter stark sinkenden Auflagen wegen wegsterbender Nutzer leiden, sollte denjenigen zu denken geben, die immer noch so arbeiten wie in den 80ern und 90ern… also den Zeitungs-Lokalteil (wahlweise auch Politik-Teil oder Sport-Teil) zum Hören anbieten.

Damals war es so: wir haben ein Interview aufgenommen oder von einem Zulieferer einige O-Töne zugespielt bekommen (heute z.B. dpa/BLR). Dann haben wir einen Text dazu geschrieben (der meist eher fürs Lesen getextet war als fürs Hören bzw. Sprechen) und wie folgt alles „abgesendet“:

Teil 1 Vorlesen Anmoderation
Abdrücken O-Ton 1
Ablesen Zwischenmoderation
Abdrücken O-Ton 2
….usw.
Bis zur Abmoderation…und dann…
Abdrücken nächster Musiktitel.

Diese „Drück-Moderationen“ klingen in 95 Prozent der Fälle altbacken, oft wie der vorgelesene Regionalteil der Zeitung und tun in 95 Prozent der Fälle weder etwas für die wichtigen Images des Senders (meist Musik- oder Entertainment-Images) oder für das Image des Moderators (wünschenswerte Images: „Einer von uns“; „den oder die hätte ich gerne als Kumpel“, „der oder die ist genau wie ich/meine Freundin/mein Ehemann“).

Sicher kennst du noch viele andere Relikte aus den 80er- und 90er-Jahren, die in die Radiomacher-Mottenkiste gehören.

Die für mich schlimmsten bleiben SFXe, sinnlose Musikbetten und ganz vorne: das Drück-Stück…

Wir sind bald im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts. Vielleicht ein guter Anlass, im „eigenen“ Sender auf die Suche Überbleibseln zu gehen, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammen…

Viel Erfolg dabei!

Deine
Yvonne

Yvonne Malak
Das Moderationshandbuch: Alles, was Radio-Profis wissen müssen
201 Seiten
ISBN 3848782723
39,00 € Nomos

Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. Februar 2025.

Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/

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