Yvonne Malak: Strategie-Lehrstück aus Österreich

Das erste Gebot im Marketing: Seien Sie Erster. Es ist besser, Erster zu sein, als besser zu sein. (…) Es ist erheblich leichter, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das den Konsumenten als erstes in den Sinn kommt, als eines, von dem sie erst nachweisen müssen, dass es besser ist als das der Konkurrenz, die zuerst am Drücker war.

Ries/Trout 2001, S.14

Dieses erste Marketinggebot gilt natürlich heute immer noch. Viele große Sender profitieren nach wie vor von der Position des Ersten. Das alleine reicht im Jahr 2024 aber schon lange nicht mehr aus.

Viele der Hörer der ersten Stunden sind zwar mit „ihren“ Sendern über die Jahrzehnte „mitgewachsen“. Doch wenn die Kuchenanteile im Markt immer kleiner werden, weil x neue Player hinzukommen und der eigene Kuchenanteil von allen Seiten angeknabbert wird, reicht es nicht mehr, sich auf der „Position des Ersten“ auszuruhen. Wer sich nicht weiterentwickelt, wird irgendwann überholt werden…

Schauen wir nach Österreich. Im beschaulichen Schwarzach in Vorarlberg gibt es ein Lehrstück in Sachen Radio-Strategie.

Ö3 konnte in ganz Österreich lange Zeit von der Position des Ersten profitieren. Immerhin hat der Sender vor den Sendestarts der ersten privaten Radiostationen 1998 sein Programm auf ein Unterhaltungs-Hot-AC-Format umgestellt. Alles richtig gemacht.

Natürlich hat Ö3 auch einen beliebten Morgenshow-Anchor, eine Signature-Benchmark am Morgen, eine riesengroße Redaktion und sehr gute Moderatorinnen und Moderatoren.

Doch irgendwann hat all das – trotz der Position des Ersten – nicht mehr gereicht.

Der erste Sender in Österreich, der Ö3 deutlich überholt hat, war 2020 Antenne Vorarlberg. Die Position des Ersten kann einen Sender viele Jahre tragen, auch wenn der Sender Fehler macht – aber eben nicht ewig, wenn der Wettbewerb alles richtig macht.

Auch wichtig in diesem Kontext: Für die Fans von Oldies gibt es In Österreich ebenfalls eine Kette von ORF-Radios: Radio Tirol, Radio Salzburg oder Radio Vorarlberg. Wer Oldies hören will, schaltet z.B. in Vorarlberg Radio Vorarlberg vom ORF ein.

Vor gut vier Jahren also gab es den kleinen David in Schwarzach, der den großen Goliath aus Wien in seinem Bundesland überholt hat. So weit so gut. Mittlerweile, einige Jahre später, ist David noch erfolgreicher.

Antenne Vorarlberg hat ein Mini-Team, arbeitet zwangsläufig zu Randzeiten mit Voicetracking und muss mit übervollen Werbeblöcken und einer Vielzahl an Sales Promotions fertig werden. Und ist trotzdem deutlicher (!!!) Marktführer geworden.

Der Sender war optimal aufgestellt in Sachen Off Air Marketing und On Air Promotion (Vielfalt in der Musik), die Morgenshow war auf Entertainment fokussiert. Das Team hat im Laufe der Zeit zwei, drei Signature-Benchmarks entwickelt, die Musik stand tagsüber im Mittelpunkt, darüber hinaus schaffte der Sender lokale Identität über Kleinigkeiten (Dialekt, kleine Geschichten, Hörertöne on Air) und erarbeitete sich eine Community, die von jedem Mitarbeiter mit Liebe „gepflegt“ wird. Regelmäßige Treffen mit dem Publikum und Off Air Stunts gehören genauso dazu wie ein regelmäßiger Austausch über alle relevanten sozialen Medien.

Und jetzt kommt ein Fakt, der paradox klingt: Antenne Vorarlberg ist seit 2021 noch erfolgreicher – und zwar durch Einschränkungen in der Musik.

Der Sender hat bis 2020 auch Musik aus den 80ern und 90ern gespielt – gemixt mit einem großen Anteil aktueller Hits. Der Sender war wie gesagt bereits Marktführer. Und dann haben sich der PD Andy Hinsberger und GF Mario Mally nach einer seriösen Marktforschung etwas getraut, was sich nur wenige trauen: Trotz des Erfolges und der Marktführerschaft haben die beiden an ihrem Produkt etwas Entscheidendes geändert. Sie haben – wie in der Marktforschung empfohlen – das Format deutlich geschärft. 80er raus, 90er raus. Mehr aktuelle Hits rein. Kein Song ist älter als 20 Jahre.

Und was passierte dann?

Der Sender steigerte seinen Marktanteil – im Peak auf über 40 Prozent – und konnte seine Marktführerschaft gegenüber Ö3 weiter ausbauen.

Es klingt zunächst paradox, wenn man es aber einmal verstanden hat, ist es einleuchtend: Je klarer ein Musikformat ist, desto mehr Hörer kann man damit erreichen. Je klarer die inhaltliche Ausrichtung einer Morgenshow ist (der Plot muss klar sein und darf nie verlassen werden), desto mehr Hörer kann man erreichen. Logo! Man weiß immer genau, was man bekommt und die Erwartung der Hörer wird nie enttäuscht. Außerdem findet nichts statt, was auf ein anderes Produkt einzahlt – in diesem speziellen Fall würden z.B. die Hits aus den 80ern auf Radio Vorarlberg einzahlen. Diese nützen Antenne Vorarlberg also nichts, sondern richten eher Schaden an.

Sicher ist es etwas vereinfacht dargestellt, dass die Marktanteile in Vorarlberg sich nur deshalb zu Ungunsten von Ö 3 verändert haben, weil der Wettbewerber sein Format verengt hat, während Ö3 weiterhin ein breiteres Format anbietet. Morgensendungsappeal, Entertainment-Images und On Air Promotion spielen ebenfalls eine große Rolle. Aber wenn die Musik mehr als 70 Prozent der Sendezeit – also den Hauptanteil – ausmacht, spielt sie eben auch die Hauptrolle bei Gewinn oder Verlust.

Ich durfte in meiner Laufbahn viele Relaunches umsetzen (immer auf Basis einer sehr guten Marktforschung). All diese erfolgreichen Relaunches hatten eines gemeinsam: sie haben auf einem klaren Musikformat aufgebaut, bei dem jeder gespielte Song, die gewünschte Marketingbotschaft ausgesendet hat. Der zweite wichtige Baustein war zunächst nicht die Moderation oder gar die Morgenshow. Der zweite wichtige Baustein war das Marketing – On Air und Off Air. Also Werbung im klassischen Sinne und die On Air Promotion bzw. das On Air Marketing,

Was braucht man also im Jahr 2024, wenn man ein neues Produkt auf den Markt bringen oder ein bestehendes an die Spitze führen möchte:

  • Ein klares Musikformat, das möglichst so in dem jeweiligen Markt noch nicht existiert.
  • Eine strategisch ausgerichtete, klare OAP ohne Nebenkriegsschauplätze.
  • Eine Morgensendung, deren Protagonisten es schaffen, eine Verbindung zum Hörer herzustellen.
  • Auf Unterhaltung ausgerichteten Content.
  • OOH – heute mehr denn je, um auch die Menschen außerhalb des WHK zu erreichen.

Und das Beste: es ist nie zu spät, besser zu werden!

In diesem Sinne: viel Erfolg dabei.

Deine
Yvonne

Yvonne Malak
Das Moderationshandbuch: Alles, was Radio-Profis wissen müssen
201 Seiten
ISBN 3848782723
39,00 € Nomos

Yvonne Malak ist Radioberaterin und berät eine Vielzahl von Radiostationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Yvonne Malak schreibt monatlich für die radioWOCHE. Die nächste Ausgabe erscheint am 01. Dezember 2024.

Alle bisher veröffentlichten Publikationen von Yvonne Malak finden Sie auch unter www.my-radio.biz/category/publikationen/radiowoche/

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